Kultur

Kulturelle Identitäten

Die brasilianische Gesellschaft ist in ihrem Ursprung eine Verschmelzung von drei großen ethnischen Gruppen: der Ureinwohner, Portugiesen und Afrikaner, die ab circa 1538 bis 1850 als Sklaven nach Brasilien verschleppt wurden. Im 19. Jahrhundert, durch die Einwanderung von Europäern, besonders nach Süd- und Südostbrasilien, entstand eine kulturell bunte Gesellschaft. Das Land hat Millionen von Immigranten aufgenommen, die Mehrheit aus Deutschland (heute leben ca. 2 Mio. Deutschstämmige in Brasilien), Italien, Spanien, Portugal, Polen, aber auch aus Japan (diese Gruppe macht heute ca. 1% der brasilianischen Bevölkerung aus) sowie aus dem mittleren Osten, z.B. Syrien und dem Libanon. Für diese Neuankömmlinge war es in der großen Mehrzahl kein Problem von den Brasilianern akzeptiert zu werden. Die Immigranten wurden immer auch als Träger von Zivilisation und Fortschritt gesehen. Das Zentrum der Massenimmigration war im 20. Jahrhundert São Paulo. Die Stadt hat deshalb bis heute eine weitgehend multikulturelle Prägung. Die einzelnen ethnischen Gruppen lassen sich kaum voneinander unterscheiden. Nur im Süden des Landes haben sich die einzelnen europäischen Einwandererkolonien stärker abgekapselt  und sind bis heute in ihrer nationalen Prägung sehr stark präsent.

Die Brasilianer, das kann man ohne Umschweife sagen, sind ausgesprochen ausländerfreundlich. Auch gibt es im Land keine offenen Konflikte zwischen verschiedenen nationalen Gruppen. Das Selbstbildnis der Brasilianer ist das einer Mestizengesellschaft, in der verschiedene Einflüsse zu einer neuen Kultur eingeschmolzen wurden. Allerdings melden sich in jüngerer Zeit Stimmen, die dieses Idealbild kritisch unter die Lupe nehmen. Auch brasilianische Künstler und Intellektuelle setzen sich bis heute immer wieder mit dieser paradoxen Mischung aus Toleranz  und  Rassismus auseinander.

Kunst, Kulturindustrie und Volkskultur

Die vielfältigen kulturellen Traditionen Brasiliens manifestieren sich in Musik, Literatur, Architektur und den bildenden Künsten. Zu den international bekannten Klassikern der brasilianischen Kunst gehört sicher Cândido Portinari (1903-62). Internationalisierung und kommerzielle Vermarktung prägen auch die brasilianische Gegenwartskunst nachhaltig.

Längst ist die brasilianische Musikszene nicht mehr zu beschreiben mit den klangvollen Stimmungen der Bossa Nova und den anspruchsvollen Texten von Vertretern der Tropicalia-Bewegung wie Caetano Veloso. Brasiliens Rockmusik mit Wurzeln in den rebellischen 80er Jahren wurden Längst von der Plattenindustrie vereinnahmt. Nach einer anfänglichen Boomzeit haben sich ein knappes Dutzend Gruppen auf dem nationalen Musikmarkt konsolidiert. Gegenwärtig mischt aber eine neue  Generation von musikalischen Rebellen aus der Unterschicht die brasilianische Mittelklasse in São Paulo und Rio de Janeiro mit gewaltstrotzender Rap-Musik auf. Aber auch andere Musikrichtungen wie Funk und Hip-Hop sind in Brasilien inzwischen verwurzelt.

Die afro-brasilianische Gruppe Olodum versucht ihre Musik mit sozialer Jugendarbeit in ihrer Heimatstadt Salvador da Bahia zu verbinden. Angesichts des heute unbestreitbaren internationalen Renommees der brasilianischen Musik ist es auch interessant, einen Blick zurück auf ihre Geschichte im 20. Jahrhundert zu werfen.

Neben der brasilianischen Kulturindustrie behauptet sich auch die brasilianische Volkskultur in ihrem jeweiligen lokalen Kolorit. Dazu gehören Figuren, die auf der mündlichen Erzähltradition beruhen, wie etwa die Koboldfigur Saci Pererê. Aber auch körperbetonte Traditionen wie die afro-brasilianische Kampfsportart Capoeira gehören zur Volkskultur und haben einen gewissen Stellenwert als   kultureller Exportartikel gewonnen. Und natürlich der weltbekannte brasilianische Karneval. Er wird in Rio de Janeiro, Salvador und Recife in sehr unterschiedlichem lokalen Kolorit gefeiert.

Fernseh- und Filmproduktion

Die Fernsehproduktion ist längst zu einem der wichtigsten Zugpferde der brasilianischen Kulturindustrie avanciert. Das Fernsehen ist in Brasilien unbestritten das wichtigste Informations- und Unterhaltungsmedium. Der Mediengigant Rede Globo dominiert seit Jahrzehnten den Markt der Unterhaltungsindustrie. Die brasilianischen Telenovelas sind inzwischen zu einem Exportschlager geworden. Durch den außerordentlichen Beliebtheitsgrad der Telenovelas in allen Schichten der brasilianischen Bevölkerung haben diese einen tief greifenden Einfluss auf die öffentliche Meinung – was sich zum Guten wie zum Schlechten auswirken kann. Diese Machtkonzentration auf einen Fernsehkanal wirkt bis heute auch auf die politische Berichterstattung. Aufgebaut wurde der Konzern unter der Zeit der Militärdiktatur von dem Medienmogul Roberto Marinho. Bis heute ist Rede Globo politisch eher verhalten und tendiert dazu, sich mit der jeweiligen Regierung möglichst gut zu stellen. Das gilt meist auch in umgekehrter Richtung.

Trotz des kreativen Anfangs mit dem Cinema Novo in den 60ern hatte die Filmproduktion in Brasilien bis in die 80er Jahre hinein quantitativ eine Randstellung im Kulturbetrieb. Wichtige sozialkritische Filme stammen aus den 70er und 80er Jahren. Tizuka Yamasaki, die bei beiden als Regieassistentin gearbeitet hatte, drehte bereits 1979 ihren ersten Spielfilm Gaijin – Caminhos da liberdade, der sich mit der Identitätssuche der japanischen Immigranten in Brasilien beschäftigt. Peter Schumanns Handbuch des brasilianischen Films (1988) gibt einen Überblick über die brasilianische Filmszene.

Erst in den 90ern kam es auch in Folge gezielter staatlicher Filmförderung zu einem Boom in der nationalen Filmindustrie. Der Erfolg in Form internationaler Nominierungen und Prämierungen, wie im Falle von Walter Salles Central do Brasil/Central Station (1998) ließ nicht auf sich warten. Bis in die jüngere Zeit hat das brasilianische Kino mit neuen Filmen wie Breitengrad Null (Toni Venturi, 1999), Crónicamente inviável (Sérgio Binachi, 1999), Bossa Nova (Bruno Barreto, 1999), Eu tu eles/Darlenes Männer (Andrucha Waddington, 2000), Domésticas/Maids (Fernando Meirelles, Nando Olival, 2001), Cidade de Deus/City of God (Fernando Mereilles, 2002), Tropa de Elite des Regisseurs José Padilha aus dem Jahr 2007 und verschiedenen Literaturverfilmungen, wie Memórias Postumas de Bras Cubas/Die Memoiren des Bras Cubas (André Klotzel, 2000), nach dem gleichnamigen Roman von Machado de Assis, immer wieder seine Schaffenskraft unter Beweis gestellt.

Brasilianische Filme mit englischen Untertiteln O Cangaceiro, de Lima Barreto (1953)

Vidas Secas, de Nelson Pereira dos Santos (1963)

Deus e o Diabo na Terra do Sol, de Glauber Rocha (1964) Macunaína, de Joaquim Pedro de Andrade (1969)

O Dragão da Maldade contra o Santo Guerreiro, de Glauber Rocha (1969) Dona Flor e seus dois maridos, de Bruno Barreto (1972)

Cabra marcado para morrer, de Eduardo Coutinho (1984) Ilha das Flores, de Jorge Furtado (1989)

Lamarca, de Sergio Rezende (1994) Quatrilho, de Fabio Barreto (1995)

O que é isso, Companheiro? / Vier Tage im September, de Bruno Barreto (1997) Hans Staden, de Luiz Alberto Pereira (1999)

Mauá, O Imperador e o Rei, de Sergio Resende (1999) O Auto da Compadecida, Guel Arraes (2000)

Bicho de Sete Cabecas, de Lais Bodansky (2001)

Cidade de Deus / City of God, de Fernando Meireles e Kátia Lund (2002) Edifício Master, de Eduardo Coutinho (2002)

Carandiru, de Hector Babenco (2003) Desmundo, de Alain Fresnot (2003)

Cinema, Aspirina e Urubus, de Marcelo Gomes (2005) Zuzu Angel, de Sergio Resende (2006)

O Ano que Meus Pais Saíram de Férias, de Cao Hamburger (2006) Tropa de Elite, de José Padilha (2007)

Tropa de Elite 2: O Inimigo Agora é Outro, de José Padilha (2010) O Som ao Redor, Kleber Mendonça Filho (2012)

Tatuagem, de Hilton Lacerda (2013)

O Lobo atrás da Porta, de Fernando Coimbra (2015) Que Horas Ela Volta?, de Anna Muylaert (2015)

Die neuen elektronischen Medien (Kabelfernsehen, Internet) haben in Brasilien eine rasche Verbreitung gefunden. Gerade öffentliche Institutionen stellen in rasch zunehmendem Maße Informationen und Dienstleistungen über das Netz zur Verfügung. So können die Steuererklärungen von den Bürgern bereits seit Jahren per Internet bearbeitet und abgeschickt werden. Auch die Wahlkabinen sind in Brasilien inzwischen zu 100% mit elektronischen Urnen ausgestattet und die Auszählung erfolgt über das Netz. In einem Land mit den kontinentalen Ausmaßen Brasiliens bieten sich aber auch Organisationen der Zivilgesellschaft neue Möglichkeiten durch vernetztes und koordiniertes Handeln auf nationaler Ebene. Im Moment stellen die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien in Brasilien aber noch um ein Medium dar, das nur Wenigen zur Verfügung steht. Kritiker befürchten, dass es zu einer neue Barriere zwischen Arm und Reich (digital divide) kommen kann.

Literatur

Der Buch- und Zeitschriftenmarkt ist stark gewachsen, nachdem mit dem Ende der Diktatur auch die Begrenzungen durch Zensur gefallen sind. Dennoch beschränkt sich der Lesekonsum immer noch weitgehend auf die Mittel- und Oberschicht. Die Buchbiennale, die jedes Jahr in verschiedenen Städten Brasiliens stattfindet, markiert den Höhepunkt des Jahres für den Printmarkt. Klassiker der brasilianischen Literatur wie Machado de Assis, Guimarães Rosa, Jorge Amado, Clarice Lispector, Graciliano Ramos, Érico Verissímo, Rachel de Queiroz oder João Ubaldo Ribeiro sind auch dem  deutschen Lesepublikum längst ein Begriff. Letzterer hat mit «Viva o povo brasileiro» eines der bekanntesten Werke der brasilianischen Literatur in Deutschland geschaffen. Der Bestsellerautor Paulo  Coelho hat weit über Brasilien hinaus Erfolg. Seine Werke wurden in viele Sprachen übersetzt und erreichten auch im Ausland Spitzenauflagen. Schwerer haben es vor einem deutschen Lesepublikum Klassiker der brasilianischen Literatur wie, Guimarães Rosa oder Lima Barreto, der sich vor knapp einem Jahrhundert literarisch mit der Nationwerdung Brasiliens auseinandersetzte.

Einige Autoren, deren Werke 2013 auf Deutsch erschienen sind:

Religion

Brasilien wurde bis jetzt als das größte katholische Land der Welt betrachtet, aber die evangelikalen Glaubensgemeinschaften und Pfingstkirchen gewinnen immer mehr an Boden. Sie benutzen dafür ein sehr geschicktes Marketing, Heilsversprechen und Show-Messen. Dem IBGE zufolge werden die Evangelikalen 50% der Bevölkerung des Landes im Jahr 2022 repräsentieren, wenn die jetzige Entwicklung weitergeht und wird so die größte religiöse Gruppe sein. Bei der Volkszählung 2000, die auch Auskunft über die Religionszugehörigkeit der Bevölkerung gegeben hat, zählten sich noch 73% zu den Katholiken.

Viele sahen in der Politisierung auch einen Grund für den wachsenden Einfluss der protestantischen Kirchen und Sekten in Brasilien, besonders die aus der USA  stammenden  Pfingstkirchen und „Neopfingstlern“ (Neopentescostais). Ein anderer Grund ist der Mangel an „Bürokratie“ bei der Evangelikalen. Jeder kann eine Kirche gründen und die Bibel nach seiner Interpretation auslegen. Deswegen haben die Brasilianer schon 120 Kirchen mit verschiedenen Namen gegründet.

Tatsächlich stand die katholische Kirche in Brasilien schon in der Vergangenheit immer wieder vor der Frage, wie sie mit den afro- brasilianischen und spiritistischen Religionspraktiken umgehen sollte, die sich dem katholischen Glauben nicht offen entgegenstellten, sondern diesen mit eigenen Vorstellungen und Praktiken zu neuen religiösen Ausdrucksformen verschmolzen. Viele Untersuchungen widmeten sich bereits diesen synkretistischen  religiösen Phänomenen in Brasilien. Die afro-brasilianischen Religionen des Candomblé, Umbanda und Macumba benutzten in der Zeit religiöser Intoleranz und kultureller Repression in der Vergangenheit den Katholizismus als eine Hülle, hinter der sie weiterhin ihre eigenen Gottheiten (Orixás) ehren konnte.

Auch andere Formen der Religiosität, wie beispielsweise der Kardezismus (auch Spiritismus) aus dem 19. Jahrhundert machten in Brasilien schneller Karriere als anderswo. Die Schriften von Allan Kardec (1804-69), der Mitte des 19. Jahrhunderts in Frankreich eine eigene Theorie an der Grenze zwischen Wissenschaftsphilosophie und Religion entwickelte, fanden in Brasilien bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rasche Verbreitung.

Die Praxis der Volksreligiösitat ist in Brasilien bis heute geprägt von diesen synkretistischen Glaubensformen, der eines der Fundamente von kulturellen Verschmelzungsprozessen in Einwanderungsgesellschaften darstellt.

Der Autor der Landesinfo von Brasilien Odair Hansen Figueira, Sozialwissenschaftler M. A., geboren 1974 in Brasilien. Studium Universität Köln, Mitarbeiter bei der Deutschen Welle. Die GIZ wurde informiert, dass wir auf touristischen Webseiten die Inhalte übernehmen. Wir freuen uns über Anregungen und Bildmaterial.